Schließen
Aktionen

Unterwegs in Hamburg: Neue Wege durch die Stadt

Ausgabe 3 / 2021 Ausgabe als PDF speichern

Hamburgs Verkehr wird immer vielfältiger. Neue Anbieter möchten mit E-Rollern, gemeinschaftlich genutzten Autos und Kleinbussen die Mobilität revolutionieren. Doch in manchen Randbereichen der Stadt kommt davon bisher nicht viel an.

Montagmorgen, Linie U1 Richtung Hamburger Innenstadt, mit leichtem Schaukeln befördert die U-Bahn Pendlerinnen und Pendler durch den dunklen Schacht. Am Ende erscheint ein kleiner heller Punkt, und aus den Lautsprechern schallt ins Abteil: „Nächster Halt: Jungfernstieg“. Die Bahn fährt ein, die Türen öffnen sich: aussteigen, einsteigen, weiter geht es.

Am Jungfernstieg halten minütlich U- und S-Bahnen, die Fahrgäste kommen aus allen Teilen Hamburgs. Gut angebunden dauert der Weg bis zum Jungfernstieg – und damit zum Zentrum der Stadt – kaum eine halbe Stunde. Doch davon können Bewohnerinnen und Bewohner einiger Randgebiete nur träumen.

„Vielerorts in Randgebieten funktionieren die Anbindungen noch nicht so gut wie in der Stadt“, erklärt Anja Berestetska, die für das Mobilitätslabor der Technischen Universität Hamburg (TUHH) zur Mobilität in der Hansestadt forscht. Wer im Süden Rahlstedts an einer Bushaltestelle steht, muss damit rechnen, eine Stunde bis zur Innenstadt zu brauchen. In Stadtteilen wie Lurup, Osdorf, Steilshoop und südlich der Elbe geht es den Bewohnerinnen und Bewohnern oft nicht anders.

Wo Bus und Bahn nicht schnell genug zum Ziel führen, greifen Pendlerinnen und Pendler vermehrt auf das eigene Auto zurück und verstopfen die ohnehin stark belasteten Straßen der Stadt. „Man kann den Menschen nicht verbieten, mit dem eigenen Auto zu fahren. Die Stadt muss attraktive Alternativen schaffen, damit sie es stehen lassen“, erklärt Anja Berestetska.

Die Hochbahn, verantwortlich für das U-Bahn-Netz der Stadt und einen Großteil des Busverkehrs, arbeitet für den HVV aktuell daran, die Angebote mit sinnvollen Alternativen zu ergänzen. Unter der App hvv switch sollen perspektivisch alle öffentlich nutzbaren Mobilitätsangebote vereint sein. Jens Brückner leitet das Projekt. „Man könnte sagen, hvv switch ist die nächste Evolutionsstufe des ÖPNV, weil es Bus und Bahn mit allen relevanten Sharing-Angeboten verbindet“, erklärt er. Für Pendlerinnen und Pendler in den Randgebieten könnte das bedeuten: Das Warten an der Bushaltestelle auf den nur alle 20 Minuten fahrenden Bus fällt weg. Ein Blick in die hvv switch-App genügt – und das nächstbeste Mobilitätsangebot ist gefunden.

In Hamburg haben sich in den vergangenen Jahren sehr unterschiedliche Angebote als Ergänzung des ÖPNV und als Ersatz für das eigene Auto etabliert. Carsharing-Anbieter wie Sixt Share oder Miles setzen auf gemeinschaftlich genutzte Fahrzeuge, die in Teilen des Stadtgebiets buchbar sind. So können Nutzerinnen und Nutzer die letzte Meile, also den Weg zwischen Haustür und U- oder S-Bahn-Station, bequem im Carsharing-Fahrzeug zurücklegen. An über 20 Stationen bietet hvv switch Stellplätze, damit beim Umstieg in die U- und S-Bahn die Parkplatzsuche wegfällt. Weitere 60 hvv switch-Stationen mit Stellplätzen gibt es in Wohnquartieren.

Aktuell kooperiert hvv switch mit den Carsharing-Anbietern Sixt Share, Miles und Cambio. Weitere Angebote möchte die Hochbahn in Zukunft integrieren. Einziges Problem: Das Geschäftsgebiet der meisten Carsharing- Anbieter beschränkt sich auf die innenstädtischen Quartiere. Sie decken nach einer Erhebung im Mai jeweils nur zwischen zehn und 20 Prozent des Stadtgebiets ab. Das südliche Hamburg fällt fast vollständig raus, nördlich der Elbe traut sich kaum ein Anbieter an die Randgebiete.

Für eine bessere Anbindung der Randgebiete an das Zentrum eignet sich Carsharing also frühestens, wenn die Unternehmen ihre Geschäftsbereiche ausweiten. Die SAGA hat das Problem erkannt und arbeitet an Sharing-Lösungen für diese Stadtteile. In Iserbrook konnten wir Anfang August mithilfe des Anbieters Greenwheels eine Carsharing-Station aufbauen. Weitere Projekte dieser Art könnten in Randlagen je nach Kapazität und Bedarf in Zukunft folgen.

Auch bei E-Scooter-Anbietern lassen sich Tendenzen Richtung Stadtrand erkennen. Zwei Pilotprojekte der Hochbahn machen Hoffnung: Gemeinsam mit dem Elektromobilitätsanbieter Voi starteten sie Mitte 2019 mit den batteriebetriebenen Rollern in Berne und Poppenbüttel, um dort die Bewohnerinnen und Bewohner auf dem Weg vom und zum ÖPNV zu unterstützen. Die Resonanz übertraf die Erwartungen damals bei Weitem, sodass Voi auch nach Ende des Projekts in den Quartieren aktiv ist. Der Elektromobilitätsanbieter denkt sogar darüber nach, die Randgebiete der Stadt als Hauptgeschäftsfeld auszubauen.

Ein ähnliches Pilotprojekt erprobt die Hochbahn zudem aktuell mit dem E-Scooter- Anbieter TIER in Langenhorn und Lokstedt. Auch hier steht die Anbindung an den bestehenden ÖPNV im Fokus. Nutzerinnen und Nutzer sollen dort die E-Scooter künftig reservieren und somit ihren Weg besser planen können. „Auf jeden Fall müssen Mobilitätsoptionen verlässlich sein, erklärt Anja Berestetskas Kollege Maximilian Wiesner von der TUHH.

Daneben sind für Pendlerinnen und Pendler Aspekte wie Komfort und Sicherheit wichtig, merkt Maximilian Wiesner an. Mehr Komfort als Bus und Bahn bieten beispielsweise Ridepooling-Angebote. Damit sind Dienste gemeint, die ihre Fahrgäste auf Anfrage flexibel zwischen Haltepunkten befördern und dabei Fahrten verschiedener Fahrgäste in gleicher Richtung bündeln. Der Mobilitätsdienstleister MOIA mit seinen charakteristischen goldfarbenen Elektrobussen bildet aktuell das flächengrößte Sharing-Angebot in Hamburg.

Über 15.000 virtuelle Haltepunkte betreibt MOIA bereits im Hamburger Stadtgebiet. Heißt: Diese Punkte fahren die MOIA-Busse nach Bedarf an, und die Fahrgäste können bei Buchung über die App sehen, wo sich ihr Haltepunkt befindet. Viele Stopps im Netz von MOIA liegen dort, wo keine Busse des ÖPNV fahren. Hier kann der Dienst entsprechend für eine bessere ÖPNV-Anbindung sorgen – eine Chance auch für die Randgebiete der Stadt.

Aufgrund von Corona deckt MOIA aktuell nur einen kleinen Bereich Hamburgs ab. Perspektivisch möchte das Unternehmen das Geschäftsgebiet aber wieder ausweiten. Der Ridepooling- Anbieter ist mittlerweile auch Teil der hvv switch-App, dort lassen sich Fahrten von MOIA und mit dem ÖPNV einfach miteinander kombinieren. „Eine Zusammenarbeit von unterschiedlichen Mobilitätsdiensten ist notwendig und wünschenswert, um die Bürger von der Verkehrswende zu überzeugen“, erklärt MOIA-Pressesprecherin Jennifer Langfeldt.

Für die letzte Meile bis zur U- oder S-Bahn wird MOIA eher selten genutzt, obwohl der Anbieter auch auf gut der Hälfte der dortigen hvv switch-Punkte halten darf. Eine Erhebung aus dem Jahr 2019 ergab, dass Fahrgäste MOIA bevorzugt für Fahrten von und zu Freizeitaktivitäten buchten, etwa abends von der Bar nach Hause, wenn kaum noch Busse und Bahnen fahren. Der Bedarf war entsprechend abends und nachts besonders hoch.

Als Zubringer zum ÖPNV sieht sich vielmehr der Ridepooling-Anbieter ioki. Das Haltestellenund Mitfahr-Konzept ist mit dem von MOIA identisch, ioki fährt aber nur in ausgewählten Bereichen mit eher schlechter Anbindung an den ÖPNV. Im Hamburger Stadtgebiet sind das Billbrook, Lurup und Osdorf. Mit ioki können Fahrgäste dort schnell und flexibel zu den U- und S-Bahnen und somit aus dem Stadtteil kommen.

Neben den App-basierten Mobilitätsanbietern könnte auch das Fahrrad zur Anbindung der Randbereiche beitragen. Gerade aus abgelegenen Stadtteilen nördlich der Elbe geht es mit dem Rad oft schneller in die Innenstadt als mit Bus und Bahn. Für eine zügige und möglichst sichere Fahrt ist eine gut ausgebaute Fahrradinfrastruktur nötig. Daran arbeitet die Stadt Hamburg.

„Wir hoffen, dass Hamburg in diesem Bereich Vorreiterstädte wie Kopenhagen oder Amsterdam einholen kann. Durch die recht ebene Topografie gibt es dafür beste Voraussetzungen“, sagt Anja Berestetska. Die Stadt plant und setzt aktuell zwölf Velorouten um, die sternenförmig in die Innenstadt führen. Zwei weitere verlaufen als Ringe um die Stadt. Die Routen führen vor allem über ruhige Neben- und Fahrradstraßen, sodass Pendlerinnen und Pendler sicher und fernab der viel befahrenen Hauptverkehrsadern in die Innenstadt kommen. Wer kein Fahrrad besitzt, kann in Hamburg auf eines von mehr als 3.100 Stadträdern zurückgreifen, die an 250 Stationen stehen. Die ersten 30 Minuten sind sogar kostenlos.

Auch wenn neue Mobilitätsangebote bisher nur zum Teil ihren Weg in die Randgebiete der Stadt gefunden haben, könnten sie künftig dazu beitragen, dass niemand mehr 20 Minuten an der Bushaltestelle stehen oder mit Bus und Bahn über eine Stunde in die Stadt pendeln muss. „Projekte wie hvv switch oder Park&Ride-Angebote sowie Kooperationen zwischen ÖPNV-Anbietern und Ridepooling-Services sind gute Beispiele, wie es künftig besser klappen kann“, so Anja Berestetska.

 

Text: Marcel Nobis| Foto: Matthias Oertel

Ausgabe als PDF speichern