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Kreative Kräfte: Die Osterstraße in Eimsbüttel

Ausgabe 1 / 2021 Ausgabe als PDF speichern

Bunt, lebendig und heiß begehrt. Eimsbüttel gehört zu Hamburgs beliebtesten Stadtteilen und ist vor allem rund um die Osterstraße ständig im Wandel. Jetzt steht das Quartier wieder vor Veränderungen.

Bunt, lebendig und heiß begehrt. Eimsbüttel gehört zu Hamburgs beliebtesten Stadtteilen und ist vor allem rund um die Osterstraße ständig im Wandel. Jetzt steht das Quartier wieder vor Veränderungen.

Es ist ein sonniger Sonnabend. Gefühlter Frühling. Die Hamburger zieht es ins Freie, in die Parks, ans Wasser und auf die Straßen zum Sonne tanken, Spazieren gehen oder Bummeln. Auch auf der Osterstraße, der Hauptschlagader Eimsbüttels, ist ganz schön was los. Zwischen dem Isebekkanal im Süden und Methfesselstraße im Norden reihen sich auf 1,4 Kilometern die Szene-Cafés, Fahrradhändler, Friseure, Bio- und Buchläden und machen die Osterstraße zu einer beliebten Einkaufs- und Flaniermeile.

Auch heute tragen Anwohner ihre Lebensmittel nach Hause, flitzen Kinder mit Tretrollern umher und stehen die Menschen vor den Bäckereien Schlange, wie an jedem Sonnabend. Auf den ersten Blick wirkt alles wie immer. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, wie viele Geschäfte geschlossen haben – und dass die Menschen auch vor den Supermärkten und den wenigen anderen Läden Schlange stehen, die derzeit öffnen dürfen. Corona hat auch die Osterstraße fest im Griff. Der Puls an der Hauptschlagader ist noch spürbar, aber er ist deutlich reduziert.

Till Bernstein will ihn wieder beschleunigen. Er ist zweiter Vorsitzender des Osterstraßen-Vereins, der sich laut Satzung für die „städtebauliche Verschönerung“ der Straße einsetzt und sie mit Veranstaltungen beleben will. Eigentlich wäre Til Bernstein jetzt gerade mit der Vorbereitung des bekannten Osterstraßenfests beschäftigt, das jedes Frühjahr zehntausende Besucher anlockt und die Straße in eine trubelige Festmeile mit Musikbühnen, Kunsthandwerk, Essens- und Getränkebuden verwandelt.

Letztes Jahr ist das Fest aber wegen der Pandemie ebenso ausgefallen, wie das Weinfest und der Weihnachtsmarkt auf dem Fanny-Mendelssohn-Platz vor Karstadt. Für dieses Jahr hat Bernstein noch Hoffnung, dass die Events stattfinden können. Die meisten Eimsbütteler würden sich freuen. Till Bernstein selbst wohnt seit 20 Jahren in der Gegend. Er liebt „sein“ Viertel, war hier lange Quartiersmanager. Jetzt ist er bei einem Stadtplanungsbüro angestellt und arbeitet ehrenamtlich im Verein Osterstraße e.V. „Ich liebe Eimsbüttel, die Vielfalt, das Bunte, das Miteinander, das hier immer noch zu finden ist.“

Vom Arbeiterstadtteil zum Szeneviertel

Gerade die Gegend rund um die Osterstraße ist sehr urban. Hier wohnen die Menschen mittendrin. Geschäfte, Gastronomie, Kultur, Ärzte, Schulen, und Kindergärten liegen gleich vor der Haustür – aber auch die zahlreichen Parks, die den Stadtteil auflockern. Am schönsten ist wohl der Eimsbütteler Park mit seinem Weiher und dem hübschen Café.

Lange Zeit galt Eimsbüttel als klassischer Arbeiterstadtteil. Vor allem Beiersdorf, das hier ab 1892 Heftpflaster produzierte, brauchte viele Arbeiter. Das ist bis heute so – auch wenn der Stadtteil in den vergangenen Jahren vor allem bei jungen Leuten immer beliebter wurde, neue schicke Cafés und Läden hinzukamen und die Preise deutlich angestiegen sind.  Dennoch gibt es hier immer noch alteingesessene Betriebe, inhabergeführte Traditionsgeschäfte und günstige Wohnungen.

Alleine die SAGA hat direkt an der Osterstraße oder den Nebenstraße 729 Wohnungen, vor allem in Rotklinkerhäusern aus den 1950er und 60er Jahren aber auch in einigen der Gründerzeithäuser. Nahe der Apostelkirche baut die SAGA an der Lappenbergsallee gerade zwei Mehrfamilienhäuser mit 27 geförderten Wohnungen und einer Gewerbeeinheit.  

Nicht weit entfernt liegt das „Kreativhaus“, eine Kultur- und Sozialprojekt das 2019 von einer Handvoll engagierter Eimsbütteler gestartet wurde. „Wir glauben, dass das Ausleben von Kreativität Menschen zufrieden macht und das Gemeinschaftsgefühl stärken kann“, erklärt Andreas Böhle vom Vorstand des Kreativhaus-Vereins die Idee. In der leerstehenden Schule an der Telemannstraße nutzt der Verein seither einige Räume für Kurse aller Art von Malen über Fotografie bis Yoga, für Ausstellungen oder auch Spieleabende. Ein Repair-Café soll noch dazu kommen.

„Auch uns hat Corona getroffen“, sagt Böhle „aber der Schulhof ermöglicht uns hoffentlich in den kommenden Monaten wieder Flohmärkte und Chorsingen.“ Alles weitere wird die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall wollen Böhle und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter weiter auch jenen Eimsbüttelern kulturelle Teilhabe ermöglichen, die nicht so viel Geld haben

Till Bernstein vom Osterstraßen e.V. sieht den Wandel vom Arbeiterviertel zum Szenestadtteil auch mit Sorge. Und mitten in diesen Wandel hinein platzte nun die Corona-Krise, die seither viele Händler und Gastronomen vor Probleme stellt. Vor allem die Mode- und Schuhgeschäfte hat es hart getroffen, einige haben bereits aufgegeben, die ersten Läden stehen schon leer.

„Aber es gibt durchaus Branchen und Einzelhändler, die zumindest den ersten Lockdown und die Zeit danach ganz gut gemeistert haben“, sagt Bernstein. Fahrradhändler haben seiner Beobachtung nach davon profitiert, dass viele Menschen wegen Corona umgestiegen sind von Bus und Bahn auf das Fahrrad. Und so mancher Eimsbütteler, der sich jetzt ein Homeoffice einrichten musste und viel zu Hause ist, hat erstmal seine Wohnung hübsch gemacht – und geht jetzt auch mittags nicht mehr in die Kantine sondern holt sich sein Essen beim Italiener ums Eck ab und erledigt seine Einkäufe in der Nachbarschaft.

„Am Anfang gab es auch eine starke Solidarität mit den Läden im eigenen Viertel“, erzählt Catrin Markhoff-Baumbach, Besitzerin der Spielwaren-Handlung „Spielplatz“ in der Karl-Schneider-Passage. „Die Leute haben bewusst bei uns im Laden, dem kleinen Buchladen nebenan oder anderen Geschäften hier eingekauft, statt im Internet.“ Außerdem hat sie schnell reagiert. Ihr Mann, ein IT-Experte, hat vier Tage nach Beginn des ersten Lockdowns im Frühjahr letzten Jahres einen Online-Shop gebaut, in dem Kunden praktisch das gesamte Sortiment, von der Straßenkreide bis zum Kuscheltier, bestellen können.

Tochter Marie liefert die Waren seither mit dem Lastenrad aus. Am Anfang konnte Marie die Bestellung gar nicht alleine bewältigen und hat eine Schulfreundin gebeten, mitzuhelfen. „Inzwischen sind die Leute aber coronamüde“, sagt Catrin Markhoff-Baumbach. Die Bestellungen haben deutlich abgenommen. Wie es weiter geht, ob es für ihren Laden überhaupt noch lange weiter geht, weiß die Spielwarenhändlerin nicht.  

Für Till Bernstein stellen solche Initiative wie die der Familie Markhoff-Baumbach aber die Zukunft dar. „Ob mit oder ohne Corona: Der stationäre Handel muss mit der Zeit gehen und seine Waren auch online anbieten.“ Er will eine gemeinsame Online-Plattform für Händler aufbauen, eine Art Osterstraßen-Amazon, damit die Kunden virtuell in der Osterstraße einkaufen gehen können.“ Die Waren vorher im Laden anschauen, Bummeln gehen, Kaffee trinken und Nachbarn treffen, das geht dann hoffentlich auch wieder „offline“.

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